Donnerstag 28. Juli 05
Gambsheim – Strassbourg – Rhein-Rhone-Kanal – Breisach – Basel
Fahrzeit 11:00 h – Tages-km 174 – Gesamt-km 656 – Temperatur 19-45°C
– erkletterte Höhenmeter 884 m
Abfahrt um sieben Uhr, jedoch diesmal ohne Frühstück, das mache ich irgend wo unterwegs. Nach den Einkauf, „une baguette et un croissant“ treffe ich draußen vor der Bäckerei einen alten Elsässer Bauern und komme mit ihm ins Gespräch. Er klagt mir sein Leid. Wir Bauern, so erzählt er mir, wir werden immer ärmer, weil wir unsere Erzeugnisse immer billiger verkaufen müssen. Kein Wunder, dass viele aufhören. Ich versuche ein Gegenargument, dass es uns dennoch besser geht als je zu vor, wenn man zurückblickt und sieht wie armselig so ein Bauer früher leben musste, dazu noch bei weitem mehr Abgaben zu zahlen hatte als heute und das alles ohne Subventionen. Daraus wird eine längere aber freundliche Diskussion ohne Aggression, sodass sich noch ein paar Männer dazugesellen und sich in unser Gespräch einmischen, um ihren Standpunkt kund zu tun.
Es sind doch noch 20 km bis ich vor dem Straßbourger Münster stehe. Eine Zeitlang verweile ich auf dem Münsterplatz, trinke nun endlich meinen Kaffee und weil ich die Stadt schon zu Genüge kenne, mache ich auch nur eine kurze Pause, um sie bald darauf wieder in Richtung Süden zu verlassen.
Ups, da habe ich mich wohl ein bisschen verfahren, denn auf einmal stehe ich wieder an der gleichen Ampel. Ich frage mich so durch, aber keiner kann mir hier eine genaue Auskunft geben, wie ich zum Rhein-Rhone-Kanal komme. Etwas weiter außerhalb der Stadt von einem Waldweg kommend bin ich wieder zurück auf der Landstraße, da habe ich mich nochmals im Kreis gedreht. In meiner Verzweiflung halte ich an und versuche auf meiner Karte heraus zu finden, wo ich bin. Dabei habe ich die beiden Mädchen gar nicht bemerkt, die plötzlich neben mir stehen und freundlich aber zweifelsfrei ihre Dienste anbieten: „Vous voulez l’amour à la pipe?“ und machen dazu eine eindeutige Gebärde. Ich erkläre ihnen „Im Augenblick habe ich größere Sorgen“ weil ich den Weg zum Rhein-Rhone-Kanals suche. Aber auf diesem Gebiet kennen die beiden sich offensichtlich weniger gut aus und verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind.
Endlich treffe einen Radfahrer, der mir exakt den Weg, beschreiben kann; es war gar nicht mehr so weit bis dahin, aber meine zwei Ehrenrunden haben mich gewiss 10 km mehr Wegstrecke gekostet. Dafür werde ich aber belohnt mit einem herrlich schattigen Radwanderweg. Er folgt etwa 20 km schnurgerade dem alten Schifffahrtskanal, der zwischen 1784 und 1833 erbaut wurde. Hin und wieder ein Schleusenbauwerk sollte dieses Wassserbauwerk die Nordsee mit dem Mittelmeer verbinden, ist jedoch heute wirtschaftlich gesehen unbedeutend, weil er zu schmal ist.
Bei der Fahrt durch diese herrliche Landschaft kommt mir ein kleiner Vers in den Sinn, der schwärmerisch vom Elsass und seinen Menschen erzählt, aber auch die Diskrepanz dieses Völkchens aufzeigt, das eigenständig weder französisch noch deutsch sein will. Sie sind einfach liebenswert diese Elsässer
- Voulez vous spaziere gehe,
- dans le beau pays d’Alsace?
- Oui monsieur, ca peut bien être,
- si vous des Vergnügens maître,
- Du mich führst de place en place!
Dem Kanal entlang komme ich nach Friesenheim. Leider verlässt hier der schattige Radweg den Kanal und ich überlege mir jetzt, besser wieder dem Rhein entlang zu radeln, weil es einfach kürzer ist und ich schließlich ja noch am Abend in Basel ankommen will. Ich rechne mir schon aus, wann und wie lange ich Mittagspause machen darf, wenn ich mit 19 statt mit 16 km pro Stunde zügig weiterfahre. Also hinauf auf den Damm zwischen Rhein und Rheinkanal, da gelange ich an eine Barriere: „Die Durchfahrt für Radfahrer ist erlaubt,“ steht da. Der Weg ist baumlos, daher ohne Schatten und holprig mit vielen Schlaglöchern. Also auf, 12km durch die Hitze, 45°C, das ist die Hölle und am Ende des Dammes; vorbei war es mit meinem Zeitplan, ich hatte meine Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn da stehe ich nun vor einem vielleicht 4 Meter hohen Gittertor mit anschließendem ebenso hohen Zaun, der zu beiden Seiten jeweils den Damm hinunter bis weit ins Wasser ragt. Wie kann ich das Problem lösen? Zurück? Unmöglich, das wären noch zusätzliche 24 km heute. Das schwere Doppeltor mit Gewalt öffnen? Geht nicht. Übersteigen? Viel zu hoch. Da entdecke ich ganz unten an der Böschung fast schon am Wasser ein bereits gewaltsam aufgerissenes Schlupfloch im Zaun. Das ist die Rettung: Nehme also mein ganzes Gepäck herunter, spreize mit einem Stock den Zaunfetzen noch etwas höher und kann so Rad, Gepäck und mich selbst da unten durchschieben. Die ganze Prozedur, alles ab- und wieder aufladen hat mich eine halbe Stunde gekostet. Sch…, meine Mittagspause ist im Eimer, denn sonst würde ich mein Tagesziel nicht erreichen. Ich breche mir deshalb während der Fahrt von Zeit zu Zeit immer mal wieder etwas von meinem Baguette ab. An diesem Tag habe ich sicher 8 Liter Flüssigkeit gebraucht. Was nun den Zaun angeht, so habe ich erst nach meiner Rückkehr erfahren, dass sie hier die unbemannte, deutsch-französische Grenze wegen des Verdachts auf einen terroristischen Anschlag sicherheitshalber geschlossen haben. Nur gut dass mich keiner beim Grenzübertritt beobachtet hat, sonst wäre ich vielleicht jetzt noch in Untersuchungshaft.
Ich befinde mich also wieder in Deutschland auf der linken Rheinseite hier sind „eindeutigere Verhältnisse“. Am Ortseingang von Weisweil komme ich an einen Baurenhof der Obstsäfte produziert. Gerade recht, um den Durst mal mit einer Flasche Apfelsaft zu löschen und als die Bauersfrau mir eben noch sagen will, ich könne ihn auch gekühlt bekommen, da ist die Flasche schon halb leer, ich kaufe mir deshalb noch eine zweite gekühlte und und fülle alles in meine beiden Wasserflaschen um. Nun muss ich aber schleunigst weiter, aber so ein „Vitaminstoß“ macht träge bei der Hitze. Gegenwind habe ich auch noch und vor mir liegt der Kaiserstuhl. Nein, da will ich nicht durch, das wäre heute zu anstrengend. Deshalb bewege ich mich wieder etas weiter westlich bis ans Rheinufer; hier ist der Weg zwar schattiger aber nicht ashaltiert und deshalb auch beschwerlicher.
Gegen 16:30 in Breisach angekommen, wechsele ich doch wieder nach Frankreich hinüber, weil ich auf der gut ashalthierten Landstraße schneller voran kommen kann.
Unterwegs fahre ich durch den kleinen Ort Ottmarsheim. Da gibt es ein wirklich sehenswertes Kleinod romanischer Baukunst; eine im 11. Jahrhundert in der Form eines Oktogons erbaute Kirche, ehemals Teil eines Benediktinerklosters. Eine ähnliche Anlage habe ich früher schon in Spanien gesehen, eine Nachbildung der Grabeskirche zu Jerusalem, aber ganz besonders erinnert diese Bauform an den Aachener Dom. Nach einem verhehrenden Brand 1991 wurde sie mit sehr viel Geschick restauriert.
Allmählich lässt die Tageshitze etwas nach, es sind ja auch nur noch 30 km bis zum heutigen Etappenziel. Am Abend als ich bei Nico und Barbara ankomme ist es halbneun, ich bin hundemüde nach 11 Stunden auf dem Sattel. Ein kühles Bier löscht den allerersten Durst. Beim Abendessen gibt es viel zu erzählen und einen fruchtig frischen Wein; ganz nebenbei, es war nicht nur eine Flasche, die wir gemeinsam geleert haben.