Lauringer Geschichten
1945 amerikanische Panzer rollen durch Stadtlauringen
Diesen Abschnitt meiner Kindheitserinnerungen kann ich in einem Dialog führen. Herr Krappweis, ein Stadtlauringer, hatte via Email Kontakt mit mir aufgenommen und so entstand ganz reizvoll ein virtuelles Zwiegespräch, das aus zwei Perspektiven die Begebenheiten von damals schildert. Herr Krappweis schreibt:
Hallo Herr van der Meulen,
mein Name ist Winfried Krappweis, 1957 in Stadtlauringen geboren und seitdem hier lebend. Ich bin sehr an der Stadtlauringer Geschichte interessiert. Ich betreibe Ahnenforschung und habe auch schon eine Feuerwehrchronik geschrieben, da ich bei der Feuerwehr seit meinen 18 Lebensjahr sehr aktiv bin. Nun bin ich per Zufall auf ihre Homepage gestoßen und somit auch auf die Seite mit ihren Kindheitserinnerungen aus Stadtlauringen, die ich sehr aufschlussreich und professionell finde. Ich bin zur Zeit damit beschäftigt von alten Zeitzeugen Berichte und Beobachtungen aus der NS Zeit und der Nachkriegszeit niederzuschreiben. Da ich nun auf ihrer Homepage gelesen habe, dass sie in nächster Zeit noch über verschiedene Themen berichten wollen, wollte ich sie fragen, ob sie mir zu dem Thema: „1945 amerikanische Panzer rollen durch Stadtlauringen“ oder ob sie über den Tag am 8. April 1945, als Stadtlauringen bombardiert wurde und anschließend die Amerikaner in Stadtlauringen einmarschierten, etwas wissen und mir darüber berichten können, damit ich es in meiner nächsten Chronik mit einbauen kann. Ich arbeite selbstverständlich mit Quellennachweis.
Guten Tag Herr Krappweis,
ja, eine sehr lange Zeit ist inzwischen vergangen, seit ich zuletzt an meinen Lauringer Geschichten geschrieben habe, und vielleicht haben Sie mir heute ein wenig den Ansporn dazu gegeben, daran weiter zu machen.
Gerne komme ich ihrem Wunsch nach, um aus der Nachkriegszeit in Stadtlauringen zu berichten. Gewiss bin ich als Zeitzeuge nicht so ganz ernst zu nehmen, denn ich war damals, als Stadtlauringen bombardiert wurde, gerade mal 4 Jahre und 3 Monate alt. Daher ist das, woran ich mich erinnere, verständlicherweise nicht all zu erschöpfend und es sind, wenn überhaupt nur ein paar für mich wichtige Ereignisse, die aus meiner damals kindlichen Erinnerung fragmentarisch übrig geblieben sind. Aber immerhin, es gibt Einiges: Meine Schwester Brigitte ging am 1. April 1945, am Ostersonntag zur Erstkommunion, So steht es in unserem Familienstammbuch mit der Eintragung von Pfarrer Schinke. Inge, meine zweite Schwester, weiß zu berichten, er, der Pfarrer habe den Festtag in weiser Voraussicht um eine Woche vor verlegt, weil er den drohenden Einmarsch der Amerikaner befürchtete. Wir wohnten, wie schon erwähnt, in der Beckenstraße 69; dort hatte Urban Kaufmann mit einen Gesellen Sepp aus Thundorf eine Spenglerei und Kolonialwarenhandlung. Seine Frau Dora, die Paten-Tante meiner Mutter, war bereits vor Kriegsbeginn verstorben. Meine Mutter und wir vier Kinder hatten beim Onkel Urban eine vermeintlich sichere Bleibe gefunden, um den schlimmen Kriegswirren im Rheinland zu entgehen. Was meine Mutter anging, so konnte sie dem alleinstehenden Witwer während dieser Zeit den Haushalt führen. Seine beiden Söhne lebten auch nicht mehr; Alfred, der ältere war, 1929 im Alter von 17 Jahren an Lungenentzündung gestorben und Josef sein Bruder war sehr früh im Krieg gefallen. Von dem oft mürrischen Onkel Urban weiß ich zu berichten, dass er so eine Art Pferdetaxi besaß, denn er hatte noch während des Krieges eine Kutsche mit einem Pferdchen, klein und schmächtig für Kriegszwecke wenig geeignet, war es deshalb nicht zum „Kriegsdienst“ eingezogen worden. Der Pfarrer Schinke hat sich das Gespann öfters bei ihm ausgeliehen.
Mein Vater war im Krieg zuletzt in Rumänien fast eineinhalb Jahre lang vermisst seit August 1944, bis wir im Oktober 1945 eine erste Feldpostkarte vom ihm erhielten und erfuhren, dass er noch lebte. Er war in russische Gefangenschaft geraten und kehrte erst 1950 wieder zurück. Aus dieser Zeit habe ich 53 Feldpostkarten aus der Gefangenschaft meines Vaters. In bewegenden Worten bringt er immer wieder zum Ausdruck, wie sehr er sich nach uns sehnt, wie sehr er sich um uns Sorgen macht und die Hoffnung, endlich heim zu kehren niemals aufgeben wird.
An den Tag des Bombenanschlags, – den 8. April 1945,- in Stadtlauringen erinnere ich mich noch recht gut; zwar kannte ich bisher verständlicherweise das genaue Datum nicht aber ich weiß, es war am frühen Nachmittag, denn meine jüngere Schwester Ursula wurde kurz nach Mittag ins Bett gelegt, als plötzlich ganz dicht neben ihrem Bett, wie aus heiterem Himmel, eine Brandbombe das Dach und die Zimmerdecke durchschlug und brennend im Fußboden stecken blieb. Gott sei Dank war Ursula nichts passiert, Inge erinnert sich, dass unsere Mutter und die Großmutter den Brand mit dem Spülwasser löschten, während sie sich Ursula schnappte und mit ihr hinunter in den Keller eilte. Der Brand war auch bald gelöscht, doch im Haus gegenüber beim Bauern Thomas brannte es lichterloh. Ich habe heute noch den stechenden Brandgeruch in der Nase. Das Haus vis-à-vis war offensichtlich so stark beschädigt, dass es vollends abgerissen und einige Zeit später ganz neu mit roten Backsteinen aus dem Tonwerk an der Schweinfurter Straße wieder aufgebaut wurde.
Der Einzug der Amerikaner, die mit einem höllischen Lärm von Oberlauringen heran rollten, machte uns Kindern große Angst und Schrecken. Wir eilten hinunter in den Keller, um dort Schutz zu suchen; dabei konnten wir aus der Froschperspektive durch die kleine Kellerluke hindurch nicht ohne große Furcht das Geschehen draußen auf der Straße verfolgen. Es klapperten unter mächtigem Getöse die Kettenpanzer auf dem holperigen Pflaster die Beckenstraße hinauf in Richtung Kirche, zu beiden Seiten flankiert von Soldaten mit Maschinengewehren bewaffnet. Der Einzug der Soldaten erschien mir endlos, denn ich erinnere mich, dass wir eine sehr lange Zeit da unten in unserem „Verlies“ ausharrten immer in der Angst, sie, die Amerikaner könnten uns etwas antun. Dass wir uns schließlich doch herausgewagt haben oder ob sie uns da unten aus dem Keller heraus holten, daran erinnere ich nicht mehr. Allmählich begaben sich die Leute auch wieder auf die Straße.
Ein paar Panzer bezogen am Bahnhof Stellung. Das war dann wahrscheinlich schon nach der Kapitulation. Ich sah zum ersten Mal leibhaftig einen rabenschwarzen Mann, also einen Soldaten mit schwarzer Hautfarbe, ganz so, wie der aus meinem Struwwelpeter. Er saß da oben rittlings auf seinem Panzer und schälte sich genüsslich eine Apfelsine. Weil ich ihn so neugierig betrachtete, kam er lachend zu mir herunter und schenkte mir ein Stück von seiner Orange; dabei sagte er mir laut lachend etwas, was ich nicht verstand, aber ich sah dabei seine blendend weißen Zähne. Es war damals für mich gleichfalls meine erste Begegnung mit einer „Oraage“, wie wir Sie nannten, denn bis dahin hatte ich eine Solche noch nie gesehen.
Soviel zu den Geschichten.Sie interessieren sich auch für die Ahnenforschung. Deshalb würde ich Sie gerne, wenn Sie es wollen ,den Zutritt zu meiner Ahnentafel gewähren. Die Familie Kaufmann hat darin einen nicht geringen Platz eingenommen und wird von Edwin K. weitergeführt und gepflegt. Vielleicht ist es für Sie auch mal ganz interessant da hinein zu schauen. Ich werde Sie dazu mit separater Post einladen. Mit freundlichen Grüßen Gernot van der Meulen
Hallo Herr van der Meulen,
vielen Dank für ihre tollen Lauringer Geschichten. Sie sind sehr aufschlussreich und berührend. Und machen vor allem nachdenklich. Zum Glück können wir aus heutiger Sicht sagen, dass wir diese Zeiten nicht mehr mitmachen müssen. Ihr Bericht über den Einzug der Amerikaner passt hervorragend zu meinem Wissen aus dem Protokollbuch der Feuerwehr von Stadtlauringen aus diesen Tagen. Der damalige Kommandant Karl Katzenberger hat folgendes niedergeschrieben: Da deutsche Truppen gegen die Haßberge zogen und durch feindliche Flieger beobachtet wurden, sind feindliche Flieger am Sonntag den 8. April 1945 mittags 1.00 Uhr über unseren Marktflecken geflogen und haben Stab- und Brandbomben geworfen. Es waren über 60 Brandherde entstanden. Zur Löschhilfe wurden die Gemeinden soweit sie noch telefonisch zu erreichen waren Sulzdorf, Wettringen, Wetzhausen, Birnfeld, Mailes, Oberlauringen, Altenmünster, Ballingshausen, Ebertshausen, Thundorf und Theinfeld gerufen. Leo Heid ist als Melder zu den meisten Wehren und hat die Wehren verständigt auch Hofheim diese waren alle erschienen bis auf Fuchsstadt nicht. Nach etwa 1 1/2 stündiger Arbeit wo wir 2 B-Leitungen von der Lauer gelegt hatten 2 von dem Gänseweiher, kommen die ersten Panzer angerollt und fuhren uns die Schläuche 80% zusammen. Dann ging es wieder mit Eimer bis Abends 9.00 Uhr war die größte Gefahr behoben. Wie die Amerikaner kamen wurde Bescheid gegeben, dass alle in Uniform mitgenommen werden, da stand die F.F.W. Stadtlauringen wieder allein, die Wehren sind alle ohne Geräte nach Hause gelaufen mit der Uniform unter dem Arm.“
Nun wissen sie was sich in den Stadtlauringer Straßen zugetragen hat, als sie sich als vierjähriger Junge im Keller versteckt haben. Ich denke mal dieser Bericht ist auch für sie und ihren Lauringern Geschichten interessant. Wenn sie noch mehr wissen wollen können wir uns ja in Zukunft noch öfter austauschen. Viele Grüße aus ihrer alten Heimat, Winfried Krappweis
Hallo Herr Krappweis,
mit Bezug auf Ihre erste Nachricht vom 18.09. gehe ich mal davon aus, dass Ihre Angabe 8. April 1944 ein Verschreiber ist und 1945 heißen muss. Dann war ich also 4 Jahre und drei Monate, und ich kann mir meine Erinnerungen ein wenig besser erklären. Das bestätigt mir ebenfalls meine um 4 Jahre ältere Schwester Inge. Sie wusste übrigens auch noch: „An diesem Tag war Weißer Sonntag“. Allerdings hatte Pfarrer Schinke die Erstkommunionfeier um eine Woche auf Ostern vorverlegt, wahrscheinlich, weil er den Einmarsch der Amerikanischen Truppen in Stadtlauringen ahnte oder befürchtete“. Meine Schwester Brigitte ging in diesem Jahr zur Erstkommunion.
Inge erinnert sich auch daran: „Zwei große Panzer fuhren beim Einmarsch in Stadtlauringen in den Hof der Beckenstraße 69 und hielten ihn eine Zeit lang besetzt. Die Soldaten waren freundlich und verteilten an uns Kinder Schokolade“. Inge möchte gerne mit Ihnen Kontakt aufnehmen, vermutlich weiß sie noch mehr aus dieser Zeit oder einfach, es interessiert sie. Ihre Adresse habe ich an sie weiter gegeben.
Wundern Sie sich also nicht, wenn sie sich eines Tages bei Ihnen meldet oder gar vor Ihrer Haustür steht. Sie hat so weit ich weiß im kommenden Jahr wieder Klassentreffen (Jahrgang 1937 – 75 Jahre alt) mit freundlichen Grüßen, Gernot van der Meulen
Hallo Herr van der Meulen,
Zu den Ausführungen ihrer Schwester in Bezug auf die Erstkommunion kann ich auch einiges berichten: Bei meiner beschriebenen Bombardierung Stadtlauringens fiel auch eine Brandbombe auf die Kirche. Sie durchschlug das Kirchendach und setzte die Kommunionbank und den rechten Seitenaltar in Brand. Nur durch das beherzte Eingreifen von Stadtlauringer Bürgern und von Pfarrer Schinke konnte das Feuer gelöscht und das Abbrennen der Kirche verhindert werden.
Dazu schreibt auch der damalige Kommandant Katzenberger in das Protokollbuch der Feuerwehr: „Gearbeitet ist fieberhaft geworden (die Brände in der Beckenstraße) ich konnte mich nicht um die Kirche kümmern so habe ich gesehen wie H. Pfarrer Schinke und Schwestern in der ersten Lage in der Kirche am Löscharbeiten waren.“
Ältere Stadtlauringer Bürger erzählen, dass Pfarrer Schinke damals darauf bestand, den Weißen Sonntag auf den Ostermontag zu verlegen. Obwohl die Gläubigen murrten, hielt er daran fest. Dies war Glück oder Vorsehung, denn die Brandbombe fiel genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Kinder und Verwandten zur 1.Hl. Kommunion in der Kirche gewesen wären. Es wäre eine schreckliche Katastrophe gewesen. Es steht nichts im Wege, dass ihre Schwester Kontakt mit mir aufnimmt. Bevor sie vor meiner Haustüre steht, möchte sie sich bitte anmelden, damit ich auch zu Hause bin. Mit freundlichen Grüßen, Winfried Krappweis