11. Tag

Samstag – 19.07.2003

von Ponferrada nach O Cebreiro (noch 208 km bis Santiago)

Heute Morgen soll ich Barbara und Resi, die unten im Keller in einer 100-Betten-Unterkunft hausen, um sechs Uhr wecken, damit wir uns rechtzeitig auf den Weg machen können, denn es steht die letzte, größere Anstrengung bevor. Nach einer  zunächst leicht hügeligen Topographie gelangen wir über eine angenehme Talfahrt nach Villafranca del Bierzo in das saftig grüne Tal des rio Valcarce (carcel=Kerker). Ab hier wachsen nun die Berge wieder zusammen, wir radeln in ein tief eingeschnittenes Tal hinein. Die Straße führt ganz allmählich fast unmerklich in sanften Windungen stetig aufwärts. Hier treffen wir nun schon zum wiederholten Mal auf Birgitta und Jürgen aus Frechen. Wir wechseln ein paar Worte, trennen uns dann aber auch bald schon wieder, weil Jürgen, der bereits weiter gefahren ist und die Ortseinfahrt von Villafranca verfehlt hat. Seine Frau möchte ihn aber nicht aus den Augen verlieren.

Immer wieder müssen wir anhalten, um uns aus unserem Wasservorrat etwas Erfrischung zu verschaffen. Es tut gut, wenn das kühle Nass den Rücken hinunter läuft. In Trabadelo machen wir gezwungener maßen eine Mittagsrast, denn es drohen dunkle Wolken mit Regen und Gewitter. Bei der Pilgerherberge bereiten wir uns ein Champignonsuppe mit Brot Käse und Früchten. Ich frage einen Dorfbewohner nach dem drohenden Unwetter, der winkt ab und antwortet mir, „oi e mañana nada“ heute und morgen nichts, obwohl dicke schwarze Wolken Furcht erregend tief hängen. Er hat schließlich Recht behalten.

Vom Essen gestärkt und etwas ausgeruht beginnt nun der zweite Teil der Tagesetappe, zwar nicht der höchste Berg, doch war dieser Abschnitt der schwierigste und beschwerlichste von allen auf dem ganzen Camino. Wir fragen nach dem Weg und lassen uns von den Einheimischen überreden, den Fußweg zu benutzen, weil er etliche Kilometer kürzer sei. Schon gleich am Anfang steigt die Straße sehr stark an, aber immerhin ist sie noch asphaltiert. Das ändert sich jedoch sehr bald.

Aufstieg zum Cebreiro

Aufstieg zum Cebreiro

Der Straßenzustand wechselt abrupt zu einem steinigen, rolligen Etwas, das kaum mehr Weg zu nennen ist, vom Regen mit tiefen Furchen ausgewaschen, die uns zum Absteigen zwingen. Wir müssen bei diesen immensen Steigungen zu Fuß weiter schieben, dabei nach kaum 25 Metern immer wieder anhalten und verschnaufen. Es sind nun schon 3 km zu Fuß und noch kein Ende in Sicht. Es geht sehr, sehr langsam vorwärts, selbst die Fußpilger überholen uns. Ein schmaler Hohlweg, seitlich mit Büschen und kleinen Bäumen gesäumt spendet uns, Gott sei Dank, etwas Schatten.
Ich schwitze aus allen Poren. Eine alte „hutzelige“ Bauersfrau kommt uns mit einer Kuhherde entgegen, die Kühe, jede mit einer Glocke um den Hals erzeugen im Konzert ein melodisches Geläut. Endlich ein bisschen Hoffnung in Sicht, denn an einer Wegbiegung weiter oben kann man an einem Bergkamm einen Bauernhof ausmachen, vielleicht ein geeigneter Platz für eine Rast. An dem Hof angekommen ist das kühle Nass aus dem Brunnen wie ein Labsal. Die Leute dort machen uns Mut, noch 2 km, bis zum Ziel; das Schwierigste der heutigen Wegstrecke sei bereits überstanden, tatsächlich der Weg ist jetzt endlich wieder asphaltiert und wir versuchen wieder aufzusitzen. Unvergesslich diese gewaltige körperliche Anstrengung, die mich hart bis an die Grenze des Möglichen brachte. Aber dann oben angekommen ist die Freude groß, glücklich, das Etappenziel  schließlich doch erreicht zu haben und das macht alle Mühe schnell wieder vergessen.

das Bergdorf O Cebreiro

das Bergdorf O Cebreiro

Wir sind in O Cebreiro angelangt, einem bedeutungsvollen Ort auf dem camino, da wo sich fromme Legende und Wirklichkeit begegnen. Man erzählt sich, es habe hier ein geheimnisvolles Kelchwunder gegeben. Man erzählt die Geschichte von einem wenig andächtigen Priesters und einem frommen Bauern der durch den tiefen Schnee zur Bergkirche hinaufsteigt, um allein mit dem Priester die Messe zu feiern. Dieser nicht sonderlich erfreut, zelebriert eher missmutig die hl. Messe. Dabei soll es zu dem Wunder gekommen sein, dass Brot und Wein tatsächlich in Fleisch und Blut verwandelt wurden. Kelch und Patene werden hier seit Alters her als Reliquie verehrt. Andere wiederum sind der festen Überzeugung, es sei der Gralskelch (der Kelch des Abendmahls) aus dem Parsifal, der hier aufbewahrt wird.

Ein schmuckes kleines Bergdorf zum Teil mit Stroh gedeckten Rundhütten, eine uralte vorromanische Kirche mit dem Bild der hl. Jungfrau von O Cebreiro. Ganz am Ende der Dorfstrasse auf einem Hügel oberhalb der großen Hauptstraße die Herberge. Leider ist nur noch auf dem Küchenboden Platz für uns und das erst ab halb elf Uhr am Abend , wenn alle Küchenaktivitäten beendet sind. Ich war zur Abendmesse und bin nach solch anstrengendem Tag froh und glücklich diese Strapaze geschafft zu haben. Mit einem Glas cidra, – das ist der Apfelwein aus der Gegend, – lasse ich in einer kleinen Bodega, den Tag ausklingen. Ich spüre eine ganz eigenartige unbeschreibliche Stimmung in mir, vielleicht auch erwartungsvoll, so als umgebe mich etwas ganz Geheimnisvolles. Vielleicht auch weil ich meinem Ziel doch schon recht nahe bin. Mit diesen Gedanken schlafe ich, von den Tagesmühen übermannt, auch recht bald ein.

zum 12. Tag

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