Sonntag – 13.07.2003
von Los Arcos über San Millán de la Cogolla nach Santo Domingo de la Calzada (noch 690 km bis Santiago),
Der Wein brachte mir zwar die nötige Bettschwere, aber nicht den erhofften langen Schlaf; so bin ich auch recht früh wieder auf, weil das Aufstehen und Fertigmachen der Fußpilger doch nicht so ganz lautlos vonstatten geht.
Weil Sonntag ist bekommen wir auch in keiner Bar unser desayuno sondern müssen erst einmal 16 km weiter, auf langen Steigungen dann aber auch wieder steil bergab bis Viana. Dort endlich gibt es das verdiente Frühstück. Etwas später gelangen wir in die Stadt mit dem klangvollen Namen Logroño. (logro = Erfolg, Gewinn?), klingt wie Musik in den Ohren) Eine alte Stadt mit einer schönen barock Kathedale. Und weiter gehts. Am Stadtrand von Najera zweigen wir links vom Camino ab mit dem Ziel das Kloster San Millan de la Cogolla zu besuchen. Etwas enttäuschend diese schöne alte Klosteranlage wegen des massenhaften Touristenrummels.
In der Hoffnung, hier sei unsere Tagesetappe zu Ende, finden wir jedoch keine Herberge, und meine drei Weggefährten wollen auch noch weiter, weil sie ihr Tagespensum noch nicht erreicht haben. So setzen wir unseren Weg fort, um wieder auf den Camino zurück zu gelangen. Zunächst ist es wieder ziemlich hügelig, schon der geringste Anstieg macht einem bei der großen Hitze zu schaffen. Schließlich erreichen wir nach einer sehr angenehm langen und erfrischenden Abfahrt Santo Domingo de la Calzada. Den Zusatz „Calzada“ zum Ortsnamen gibt es häufig auf dem Camino; er bedeutet Pflaster und weist immer auf eine befestigte Ortspassage des camino hin. Hier finden wir in der calle major bei Schwerstern eine schöne Herberge. Essen im kühlen Refektorium, die Wäsche zum Trocknen in einem Patio, ein Sechs-Bett-Zimmer unter dem Dach, Duschen und Toiletten zum Teil vom feinsten, alles in allem, welch ein Luxus und das für ein paar Euro die man freiwillig gibt.
In der Kathedrale auf einer Empore sitzt in einem Stall ein blendend weißes Hühnerpaar, eine Henne, die immer wieder gackert während der Hahn seinerseits von Zeit zu Zeit kräht. Was es wohl damit auf sich hat? Fast jedem peregrino ist diese fromme Legende vertraut, die sich in Santo Domingo de la Calzada zugetragen haben soll. Ich will an dieser Stelle davon berichten.
Ein junger Pilger aus Köln oder Xanten, so erzählt man sich, der mit seinen Eltern auf dem Wege nach Santiago ist, verschmäht die Liebe der Wirtstochter, die in der Nacht an seine Türe klopft. Die nicht erwiderte Liebe des Mädchens wandelt sich in Hass, sie sinnt nach einer Rache und steckt sie ihm heimlich einen Silberbecher in seinen Pilgersack. Der junge Mann wird am nächsten morgen ergriffen, – man machte im Mittelalter kurzen Prozess mit solchen Leuten, – und er wird sogleich wegen Diebstahls aufgehängt. Traurig setzen die Eltern Ihre Pilgerreise fort und beten am Grabe Santiagos für sein Seelenheil. Bei der Rückkehr kommen sie am Galgen vorbei, an dem der Sohn noch immer hängt und offensichtlich noch am Leben ist, denn er ruft ihnen zu: Holt mich schnell herunter, Santiago hat mich gerettet, unsichtbar unter mir stehe ich auf seinen Schultern. Voller Freude suchen die Eltern eilig den Richter auf und bitten ihn, den noch lebenden Sohn vom Galgen herunternehmen zu dürfen. Der schickt sich gerade an ein Hühnerpaar, gut gesotten, zu verspeisen. Ungehalten wegen der sonntäglichen Störung beim Essen sagt er: „Der lebt ebenso wenig, wie dieses Federvieh auf meinem Teller“. Es kommt, wie es kommen muss, denn im selben Augenblick fliegen Hahn und Huhn auf und davon. Und nun muss die Wirtstochter statt seiner hängen. In Erinnerung an diese Begebenheit wird seitdem in der hiesigen Kathedrale zum Dank für die wunderbare Rettung dieses Hühnerpaar gehalten.
Heute bin ich meinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen, denn mehr als 1/4 des Weges habe ich bereits geschafft.